Iran/ Isfahan - Lehrerreise Reisetagebuch in Auszügen

20.5.2004
Noch 4 Tage bis zur Reise nach Persien oder in den Iran - welche Bezeichnung steht eigentlich wofür? Persien: orientalische Märchen, Teppiche, geheimnisvolle Prinzessinnen, Soraya, Farah Diba, Schah und die Demonstrationen der 68er, Pfauenthron. Iran: Khomeini und die islamische Revolution, damals Hoffnung auf Beendigung eines korrupten Regimes, heute: totalitäre Alleinherrschaft einer korrupten Priesterschaft, Repression der Frauen: höchste Frauensuizidrate der Welt, Mindestalter für die Verheiratung von Mädchen auf 9 Jahre herabgesetzt, keine Frau darf ohne Einwilligung ihres Ehemannes das Land verlassen, 2,5 Mio Drogensüchtige, darunter wieder hoher Frauenanteil, aber auch: seit 2002 mehr weibliche als männliche Studienanfänger, 1/3 aller Doktorentitel in weiblicher Hand, der iranische Karateverein führt 1 Mio. weibl. Mitglieder! Die Angaben habe ich soeben bei Katajun Amirpur gelesen, einer iranischen Publizistin, die in Deutschland lebt. Hätte ich nur früher angefangen, mich über dieses widersprüchliche Land genauer zu informieren, die Zeit ist mal wieder weggerast, ich werde also mit wenig Wissen und viel Neugier reisen; ach ja: Mit welchen Klamotten im Koffer? Was würde der strengen Kleiderordnung der Mullahs standhalten? Mindestausstatung: ein paar Kopftücher und Schals. Wie gut, dass meine Sonnenbrille noch fertig wurde: mit ihr würde ich freiere Blicke riskieren können. Fatima hatte uns beim Vorbereitungstreffen erklärt, dass es in ihrem Land unschicklich sei, wenn Frauen Männern (und umgekehrt ) direkt in die Augen sehen.

24.5.2004
Endlich im Warteraum für B43 Flug Iran Air nach Teheran: Männer aller Schichten und im jeweiligen Allerweltslook, mich interessiert besonders das Outfit der Frauen, denn der Moment des Kopftuchs naht: beim Einsteigen in das Flugzeug muss es drauf sein. Zwei ältere Damen mit Vuitton-Taschen schauen müde und grimmig drein, eine mit schwarzem Tuch, die andere ohne mit modischem Kurzhaarschnitt und rotgefärbten Strähnen Ein ungleiches Paar unterhält sich angeregt, aber nicht laut: ein Mullah mit weißem Turban und schwarzem Umhang und eine Frau(vielleicht Mitte 40), deren dunkelblondes Haar in einer breiten Strähne aus dem weit zurückgerutschten Seidentuch fällt. Ein junger persischer Papa hat seiner noch jüngeren und sehr hübschen Frau das Baby abgenommen und schaukelt es liebevoll in seinen Armen. Sie trägt einen Hauch von himmelblauer Kunstseide über ihrem vollen schwarzgelockten Haar. Vor mir der satte Pferdeschwanz eines jungen Mädchens, von einem Minidreieckstüchlein durchschnitten. Ich selbst probiere mein großes Tuch aus - normalerweise trage ich es über den Schultern, ein Mitbringsel aus Rom, - und versuche den dicken Knoten unter dem Kinn mittels einer alten Serviettenklammer aus Silber zu vermeiden, ich hoffe, sie wird halten. Ein Blick in das Handspiegelchen sagt mir: nicht schlecht, ich sehe fast so streng aus wie das soeben erscheinende weibliche Bordpersonal. Die Stewardessen mit einem schwarzen Kepi über schwarzem goldgerahmten Tuch, dessen zwei Enden über die Schultern fallen wie militärische Schulterklappen und in halblangen dunkelblauen Mänteln, strenge "Revolutionswächterinnen", Schauder auf meiner Haut.

Ankunft in Tehera gegen 22 Uhr: langes Stehen an der Passkontrolle, aber problemloses und freundlich-korrektes Abfertigen, schließlich schieben wir uns durch ein unglaubliches Spalier erwartungsfroher Menschen allen Alters mit lachenden, weinenden, angespannten, glücklichen Gesichtern, viele Blumenbuketts werden geschwenkt, ich wage nicht, direkt in die sehr nahen Gesichter zu blicken, ich möchte nicht, dass ihre heftigen Gefühle vom fremden Blick beobachtet werden. Dennoch ergreifen mich manche Wiedersehensszenen, starkes Empfinden: nun hat das Abenteuer der Begegnung mit der anderen Kultur begonnen. Fortsetzung im "Teheran Grand Hotel":kaum erblickt mich die Managerin mit meinem wunderbar streng sitzenden Tuch, als sie mich auch schon anspricht: "You are not Iranian?" Nein, also bräuchte ich das mit dem Kopftuch auch nicht so fürchterlich ernst zu nehmen und es nicht so streng tragen. Was will sie damit sagen? Ihr Touristinnen könnt uns unterstützen beim Zurückdrängen des Kopftuchs. Oder: Wir sind hier gar nicht so repressiv, wie ihr im Westen zuglauben scheint. Oder ? Ich beschließe jedenfalls, in Zukunft auf meine Klammer unterm Kinn zu verzichten und das Tuch lockerer zu tragen, auch unter Gefahr des Wegrutschens.
Die Balkontür des Zimmers im 4.Stock schließe ich schnell wieder, denn auch jetzt um 1 Uhr morgens fluten Verkehrslärm und Autogestank zu uns hinauf, wir sind in einer 14-Millionen-Stadt ! Poesie des Orients, wo bist du? Der kleine Gebetsteppich auf der Spiegelkonsole ist kein fliegender, die in Plastik verpackten Einmalsandalen sind auch keine Zauberschühchen, also Schlafversuch bis zum ohrenbetäubenden Dauerbrausen,durchdrungen von beständigem Gehupe am nächsten Morgen. Blick auf das morgendlich diesige Elburzgebirge hinter gelbbraungrauen Smogwogen . Seltsamerweise spüre ich diese "dicke" Luft nicht auf dem Weg zum Teppichmuseum, sondern die Luft ist angenehm frisch, mild, leicht. Wir erreichen das Museum in einem herrlichen Park unter Einsatz unseres Lebens: will man eine Straße überqueren, fahren die Autos so schnell und dicht an einen heran, dass man bis zum letzten Millimeter vor der Stoßstange nicht weiß, ob man umgemäht wird oder nicht. Am beeindruckendsten für mich im Museum: einige große Teppiche aus der Zeit um 1900, die offensichtlich Bildungsfunktionen erfüllen sollten : die berühmten Köpfe des Okzidents und des Orients aus Politik, Wissenschaft und Religion vereint in zwei großen ineinander übergehenden Stammbäumen ( von den Griechen über Cäsar, Jesus, Luther und von Darius über Mohammed und die Imame über die Seldschukkenkönige und persische Gelehrte bis zur damals zeitgenössischen Dynastie ( Quadjaren) und alle Köpfe versehen mit einer Zahl, die es dem Arabischkundigen ermöglichen, alle Namen in einer umlaufenden Legende, die sozusagen das Rahmenmuster des Teppichs bildete, zu studieren.Bei Wohlhabenden war es also offensichtlich beliebt, interkulturelle Bildung mit Hilfe der hohen Kunst des Teppichknüpfens zur Schau zu stellen.
Auf dem Rückweg, vorbei an Läden mit herrlichen Erdbeeren und Kirschen und vielen Milchprodukten, vor allem großen Plastikflaschen mit dem landestypischen Joghurtgetränk ("duuch" gesprochen) nehme ich mir fest vor, ganz schnell wenigstens die arabischen Zahlen zu lernen! Die Hilflosigkeit angesichts völlig unverständlicher Schriftzeichen ist mir unangenehm.

25.4.2004
Nach dem Flug über das Sagrosgebirge - riesige Felsmassive,viele mit ewigem Schnee, dazwischen türkisfarbene Seen - Ankunft in Shiraz, Empfang durch einen perfekt deutsch sprechenden Führer (Studium der Chemie in Deutschland), der uns die nächsten Tage mit großer Kompetenz und Freundlichkeit durch den Alltag und die Kunstgeschichte führen wird. Gleich ein Schnelldurchgang durch die "Altstadt": die Zitadelle aus der Zan-Dynastie (18./19.Jhdt.) mit einem dicken schiefen Turm, erster Bazar-Erlebnis: geräumige, helle, kühle Lehmziegelarchitektur, ein frischer, begrünter Innenhof mit großem Brunnen, ein alter Mann taucht auf wie aus 1001-Nacht: braungegerbte Gesichtsfalten, grauer gedrehter Schnauz und langer Kinnbart, goldbestickte Weste, er verkauft ein Rosenwassergetränk, köstliche Erfrischung! Einige Damen aus unserer Gruppe haben Eile: sie wollen unbedingt noch einen "Mantel" erwerben, um sich adäquat kleiden zu können, die meisten hatten sich von anderen Iran-Reisenden passende lange und nicht zu enge Blusen ausgeliehen. Später Essen in einem ehemaligen Hamam, der seit kurzem als Restaurant dient, welch ein Ambiente,alle sind begeistert: großer Brunnen in der Mitte des Raumes mit Rundgewölbe über uns, breite Steinbalustraden, auf denen die traditionellen iranischen Tische gedeckt sind (Tischplatte und breite Sitzbank mit Kissen auf einer Ebene, so dass sich die ganze Großfamilie mitsamt vielen Gästen gemütlich im Schneidersitz drumherumplatzieren kann), Halbreliefs aus Kalkstein an den Decken; unten, um den Brunnen herum Tische mit Stühlen für den europäischen Gast, der Essen im Schneidersitz nicht gut beherrscht. Dazu traditionelle persische Musik live, mit und ohne Gesang, dazwischen Rezitation von Texten und Gedichten( wir sind hier in der Heimatstadt der "Nationaldichter" Haafez und Saadi!) und ein wunderbares Essen : großes Salatbuffet mit verschiedenen Soßen, von mehreren persischen auf Joghurtbasis bis zu "italian dressing" auf Majonnaisegrundlage und viel knuspriges, noch ofenwarmes Fladenbrot und jede Menge "sabseh" (gemischtes Grünzeug, sprich frische Kräuter aller Art, in kleinen Körbchen, Basilikum, Thymian, Petersilie, Kresse usw.), schließlich Fleischspieße aller Art und das Exotischste: Eis aus feingeraspelten Limonenschalen und Rosenwasser (Einfachstumschreibung dieser Köstlichkeit).

27.5.2004
Persepolis, die mythenumwobene Königsresidenz der altpersischen Achämenidenherrscher, die Alexander "der Große" zerstören ließ, deren Ruinen aber immer noch eine Idee von der beeindruckenden Gesamtkonzeption und Großartigkeit der architektonischen, bildhauerischen und künstlerischen Leistung dieser frühen Hochkultur vermitteln. Unendlich viele sehr gut erhaltene Steinreliefs zeigen natur getreue Abbildungen der Gesandten des riesigen Vielvölkerstaats, und das alles nicht in einem Museum, sondern unter dem blauen Himmel und in der trockenheißen Luft des persischen Hochlands! Im Bus weitersinnen: wie mag es gewesen sein auf dieser immensen Baustelle damals, wo Menschen verschiedenster Sprachen und Kulturen zusammenarbeiten mussten? Vor kurzem seien Tontafeln entziffert worden, auf Schwangerschaftsurlaub für Arbeiterinnen! Aber schon sind wir in einem herrlich kühlen Gartenrestaurant und bekommen die persischen Spezialitäten des Tages serviert, mein Favorit: rote Linsen mit Lammfleisch, aber auch das Auberginengemüse und das Huhn mit Granatapfel-Walnußsoße schmecken köstlich! Nur kurz taucht der Gedanke an ein Gläschen spritzigen sommerlichen Weiswein auf, aber das erlaubt natürlich die islamische Republik nicht!

28.5.2004
Tag der Moscheen und Medresen, es ist Freitag, also hiesiger "Sonntag", Feiertagsstille über der großen Stadt, aber dennoch haben vereinzelte Geschäfte auf, sogar im Bazar. Wir dürfen in den Innenhof einer Medrese (Ausbildungsstätte für Theologen), angenehme Kühle im Schatten der blühenden Granatapfelbäume, Rosenbeete, ein armselig gekleideter Mullah heißt uns im Namen Allahs willkommen und nutzt die Gelegenheit, die Propheten Jesus und Mohammed als Zeugen für die Friedfertigkeit der Völker Deutschlands und Irans zu beschwören, die momentane unbegreifliche Feinseligkeit der Amerikaner zu beklagen und zu beteuern, Allah werde alle Friedliebenden beschützen.

Besuch im Shah Cheragh-Mausoleum, das zum Gedenken an einen in Shiraz ermordeten Bruder des 8. Imams errichtet wurde und dessen verehrter Sarkophag sich auch darin befindet.Der Schrein ist innerhalb der Trennmauer zwischen Frauen- und Männerseite errichtet, so dass beide Geschlechter ungehinderten Zugang haben.Wir Frauen bekommen am Eingang einen Tchador ausgeliehen und dürfen uns so ungehindert in der Moschee bewegen, in der uns eine sehr ruhige, entspannte und völlig unaufgeregte Atmosphäre empfängt, obwohl sehr viele Frauen, auch mit kleinen Kindern, anwesend sind und reges Kommen und Gehen herrscht.Die Frauen und Mädchen lesen, ruhen, lernen oder beten, einige Grüppchen unterhalten sich leise, natürlich auch über uns, wir werden angelächelt, gegrüßt, um Fatima bildet sich eine größere Gruppe, und sie muss erläutern, wer wir sind, was wir hier wollen. Andere lassen sich in ihrer Frömmigkeit durch die Anwesenheit der Fremden nicht im geringsten stören,besonders beim Beten und beim Berühren und Küssen des heiligen Schreins sind alle ganz und gar bei sich und ihrem Tun. Eine Frau schläft die ganze Zeit auf dem Boden unter einer Inschrift an der Wand, vor der sich andere Frauen auf die Knie legen und beten oder still verneigt stehen,sie liegt zur Seite gerollt an der Wand, völlig in Schwarz eingewickelt und bewegt sich keinen Millimeter.

28.5.2004
23Uhr, Landung in Isfahan, freundlicher Empfang und Fahrt ins legendäre Abbassi-Hotel, das auch in Wirklichkeit so traumhaft orientalisch wirkt wie auf dem Hotelprospekt: eine ehemalige Karawanserei, deren Innenleben umgestaltet wurde zu Hotelzimmern und -suiten und herrlich dekorierten Speisesäälen, überall Reproduktionen alter Gemälde, Tapeten mit klassischen ornamentalen Fliesenmustern und der Garten im Innenhof: Inbegriff des persischen Paradiesgartens, mit Springbrunnen, sehr gepflegten Rosen- und Geranienbeeten und vielen blühenden Zierbäumen, Steinbänken und das alles überragt von der türkisgrundig gefliesten Kuppel der Chahar Begh Medrese, die zwar nicht besichtigt werden darf, aber unser "heimischer" Orientierungspunkt für die nächsten Tage werden wird. Schade, dass es schon zu spät ist für das lauschige Teehaus, auch die Springbrunnen werden abgestellt, und endlich ist auch die Logistik des Zimmerverteilens und des Pässeeinziehens an der Rezeption erledigt und wir sinken in einen erwartungsfrohen Schlaf.

29.5.2004
Ein Tag so voller Eindrücke in Moscheen und Palästen, dass mein geistiges und emotionales Fassungsvermögen bei weitem nicht ausreicht; nur Ausschnitte aus der Vielfalt der Eindrücke können behalten werden.
Ankunft auf dem Meidan e Imam, vielleicht der schönste Platz der Welt, vielleicht nur einer der charakteristischsten Plätze. Weite, Raum für viele Menschen und Aktivitäten und dennoch klare Begrenzung, nichts kann wegfließen oder abdriften, man kann eigentlich nicht am Rande stehen, man ist entweder drin (nicht drauf!) oder nicht, denn das Rechteck (800 x 400 m ) ist vollkommen umbaut von doppelstöckigen homogen gestalteten Arkadenbauten,in die auch die Eingänge zu den beiden beherrschenden Gebäudekomplexen des Platzes (die Imam- und die Sheik Lotfallah-Moschee) integriert sind. Es gibt nur zwei Torzugänge von offenen Straßen her und einen, der direkt in den überdachten Basar führt, die riesige Mitte nimmt einen auf mit ihren Grünflächen, ihrem langgezogenen Springbrunnen, den Rosenrabatten und den anscheinend völlig entspannt auf ihren ausgebreiteten Teppichen ruhenden, Eis schleckenden oder Wasserpfeife rauchenden Familien oder Freundesgruppen. Die Arkaden beherbergen eine Unzahl von kunsthandwerklichen Läden, besonders Miniaturisten bieten ihre Künste feil, aber auch Batikstoffe,Goldschmuck, getriebene und bemalte Kupferarbeiten warten auf die wenigen vorhandenen Käufer (seit dem 11. Sept. ist der Tourismus drastisch zurückgegengen), wir kommen kaum voran, nicht nur wegen der verlockenden Waren, sondern weil uns auch viele Menschen ansprechen, "where do you come from?" und jedes Mal offene Begeisterung bei der Antwort, sogar Freiburg kennen etliche vom Namen und wir erwähnen gern die Städtefreundschaft, ein Gedanke, den allerdings nicht jeder versteht.Auf der Westseite des Platzes erreichen wir schließlich am späten Nachmittag - das Sonnenlicht wird schon golden - die Masdjid-e Imam ("Königsmoschee"), kein Zeitverlust an der Kasse wie bei den Sehenswürdigkeiten in Shiraz, in Isfahan heben wir freien Eintritt (Gastgeschenk der Stadt), wenige Schritte durch das Eingangsgewölbe, noch zwei Schritte in den Innenhof, und ein unbeschreibliches Gefühl füllt mich aus, ein fast religiöses Schaudern (ist das der Hauch einer mystischen Transzendenzerfahrung?),die erhabene Schönheit dieser Architektur ist atemberaubend. Verstummen, wieder zu Atem kommen, wie gut, dass wenige Menschen anwesend sind, und alle ruhig, keinen lässt dieser Raum unbeteiligt(Innen- oder Außenraum? Wir stehen unter freiem Himmel und sind doch innen, im Zentrum dieses sakralen Ortes), jeder macht seine eigenen Erfahrungen, bis wir uns allmählich wieder um unseren jungen Führer scharen, der einige Details zur Entstehungsgeschichte vorträgt, und nach und nach auch Details der Gestaltung wahrnehmen können: die unglaubliche Fülle der Ornamentik und die vielfältigen Gestaltungstechniken der Fliesen, die trotz ihres Detailreichtums den Gesamteindruck einer harmonischen Ganzheit erhöhen. Ich begreife staunend, dass diese religiöse Architektur nicht nur handwerkliche Berechenbarkeit und sinnenhaftes Erleben zu vereinen wußte, sondern glaube zu erahnen, dass auch das Bild einer "anderen" Welt, nennen wir sie Jenseits, und die Vorstellung von eben jener Welt im Diesseits hier zu einem so verdichteten künstlerischen Ausdruck gebracht wurde, dass sich die Magie dieses Ortes sogar mir mitteilt, der ich von der Glaubensvorstellung des Schiismus kaum etwas weiß.

Innerlich noch nicht gelöst vom Rätsel dieses blauen Fliesenwunders, stehen wir schon vor dem Eingangsiwan der Sheikh Lotfallah-Moschee, deren geflieste Fassade auf mich wirkt wie mit kostbaren Teppichen behängt. Wie gut, dass uns ein ambulanter Tuchverkäufer, der uns seit geraumer Zeit schon seine Ware anpreist ("only one Euro, very cotton, very cheap"), zwischendurch auf den Boden der irdischen Tatsachen zurückführt. Im Innenraum dann, unter der zentralen Kuppel wieder atemloses Staunen ob der Harmonie und Schönheit der Gestaltung, und wieder dieses Schwanken: was zieht mich mehr an, das Gesamt oder die unzähligen Details der Fliesen, der Bögen, der Arabesken? Grandiose Baukunst!

30.5.2004
Besuch der alten Freitagsmoschee, die aus der Zeit der Mongolenherrschaft stammt und einen Einblick in die frühere Kunst des Lehmziegelbaus gewährt: großartige Gewölbe, deren geometrische Musterung durch das kunstvolle Setzen der schmalen Lehmziegel zustandekommt.Die erdene Natürlichkeit des Materials vermittelt ein archaisches Gefühl des Beschütztwerdens. Tiefe Vorstellung von einer stillen Ansammlung Gläubiger im Wintergebetssaal, ein relativ niederer Gewölberaum, über den sich viele kleine zeltförmige Kuppeln spannen, die als einzige Lichtquelle je eine Alabasterscheibe in der Mitte haben. Völlig anderer Eindruck als in den lichten, hohen Räumen und Innenhöfen der anderen Moscheen. Welch ein Kontrast erwartet uns erst am Nachmittag im armenischen Viertel der Stadt! Die naturalistische Bildsprache der christlichen Kathedrale der Armenier steht in krassem Gegensatz zur ornamentalen Klassik des Islam: die Wände sind vollkommen bemalt mit der Lebens- und Leidensgeschichte Christi, die lauten Farben (18.Jh.) und die aufdringliche Realistik lassen die meisten von uns zurückschauern, die Drastik der unbedeckten Körper und deren Leiden (z.B. in einem Fries, das verschiedenste Foltertechniken illustriert, die je von Märtyrern durchlitten wurden) berührt unangenehm.

31.5.2004
Kleiner Empfang mit Mittagessen durch die Stadt Isfahan, bei dem wir alle als Souvenir eine kleine Stoffdruckdecke mit typischem Isfahaner Dekor bekommen.Der Chef der städtischen Partnerschaftsstelle ist ein weltläufiger, sehr gut Englisch sprechender eleganter und höflicher Mann, aber mir fällt auf, dass er keine offizielle Ansprache hält. Wir kommen gar nicht dazu, darüber zu rätseln, denn als wir uns später fast alle (ohne Verabredung!) auf der Terrasse des Teehauses über dem Meidan e Imam treffen, Blick über die Kuppeln und Minarette der Moscheen im Schein der untergehenden Sonne, sind wir nicht nur gefangen von der Romantik dieses Orts, sondern auch berauscht von all unseren Einkäufen: Gewürze, von Safran bis Kreuzkümmel, Süßigkeiten aller Art, frische Datteln, getrocknete Früchte, Stofftaschen, Schals, und besonders Miniaturen in allen Formaten und in Rahmen aus herrlichen Einlegearbeiten . Um uns herum Sunset-Stimmung: Zur Linken das durch eine Kordel abgetrennte Männerabteil des Teehauses, ruhige Gespräche, behäbige Züge an der Wasserpfeife, bei uns, im Familienabteil, viele junge Frauen, die ebenfalls Tee und Wasserpfeife genießen, mangels gegenseitiger Sprachkenntnisse bleibt es bei Anlächeln und gemeinsamem Genießen der Muße an einem der schönsten Orte der Welt. Wird sich der Zauber dieses Ortes erhalten können, wenn dereinst wieder die Touristenströme aus dem Westen fließen?
Uns bringt der Abend noch eine spannende Attraktion: männlicher Kraftsport in persischer Variante: Männer mit eleganten Bewegungen und muskulösem Körperbau geben unter den Rhythmen einer riesigen Standtrommel und den anfeuernden Gesängen eines offensichtlich "Ehemaligen" ihr Bestes: riesige Keulen werden über dem Kopf geschwungen, extrem schwierige Dehn-, Streck- und Beugeübungen absolviert, schwere Holztüren aus der Bauchlage gehoben und rasend schnelle Kreisel gedreht. Und das alles in harmonischer Anordnung auf einer recht kleinen Kreisfläche, unglaublich, wie sie es schaffen, nicht aneinander zu stoßen! Alle sehr beeindruckt von diesem Sport, der nicht Muskelprotze ausbildet, sondern offensichtlich ganzheitlich fitte und kraftvolle Männer.

2.6.2004
Überlandbusfahrt nach Teheran, mittäglicher Aufenthalt in Kashan, große Hitze (Nähe der großen Salzwüste spürbar), einige Blitzbesuche, z. B. in der Agha Bozorg Medrese, eine ländlich wirkende, stille Theologenschule mit nur wenigen Schülern und einer kleinen Bibliothek im Kellergewölbe, die nachmittags den Mädchen und Frauen offensteht, uns Frauen wird erlaubt, hinunterzusteigen, als aber die Kontaktaufnahme mit den wissbegierigen Mädchen - sie möchten z.B.auf der Weltkarte gezeigt bekommen, woher wir kommen, es entstehen schnell kleine gegenseitige Fragerunden - gibt der Bibliothekar deutlich kund, dass die Konzentration der Studierenden leide und er uns deswegen wieder loswerden möchte. Immerhin noch eine letzte Gelegenheit, bei einem Mullah duftendes Rosenwasser und aüßerst heilkräftige Pfefferminzessenz zu kaufen. Wohin mit all dem Gepäck?!
In die untergehende Sonne hinein blicken wir auf die im Dunst verschwimmenden Konturen der bizarren Gebirgsformationen am Horizont bei der letzten Etappe übers Hochland, bis gegen 21 Uhr Teherans Vorstädte auftauchen und wir am hell erleuchteten Khomeini- Mausoleum vorbeifahren. Erstaunlich wenig Verkehr am Vorabend seines Todestages, die zentrale Gedenkfeier soll am morgigen Vormittag hier stattfinden, wie wir später aus der englischsprachigen Ausgabe der iranischen Fernsehnachrichten im Hotel erfahren. Wegen des Feiertags werden auch alle Museen geschlossen sein, so dass unser letzter Tag ein geruhsamer Tag im Mellat-Park im vornehmen Teheraner Norden wird: Sanfte Rasenhügel unter riesigen Schatten spendenden Bäumen, geteerte Wege, gesäumt von Ruhebänken und dezent aufgestellten Lautsprecherboxen, aus denen meditative Musik (internationaler Verschnitt) ertönt, manchmal unterbrochen von einer sanft rezitierenden Stimme. Überraschung: plötzlich in einwandfreier deutscher Aussprache: "Johann Wolfgang von Goethe", eine kurze Information zu Leben und Werk des "großen deutschen Dichters", also nicht nur Unterhaltung im Park, sondern auch noch ein bisschen Bildung. Ansonsten feiertäglicher Müßiggang wie bei uns im Stadtpark, bloß unendlich viel ruhiger trotz sehr vieler Menschen: Familien lagern zum Picknick im Gras, hier eher "moderne" Kleinfamilien mit maximal drei Kindern, häufig junge Paare mit nur einem Baby, in Shiraz und Isfahan hatten wir häufig riesige Großfamilien mit Großeltern gesehen, die uns manchmal Tee und Fingersnacks (eingelegte Bohnen z.B. oder Pistazien usw.) angeboten hatten. Hier kümmert sich niemand um uns Fremde, ein freundliches Entschuldigungsnicken, wenn uns fast ein Volleyball trifft, aber keine weitere Kontaktaufnahme. Ich genieße die entspannte, friedliche Atmosphäre des weitläufigen Parks :am Nachmittag kommen auch mehr junge Mädchen in hautengen Jeans und hochhackigen Schuhen und mit pastellfarbenen Handtäschchen, Mode international, aber auch solche mit Turnschuhen, die sich an den kleinen Volleyballturnieren beteiligen. Ihr Kopftuch scheint sie nicht zu stören, auch ich habe mich inzwischen so daran gewöhnt, dass ich es kaum noch bemerke, die kleine Handbewegung, mit der das rutschende Tuch wieder vom Hinterkopf nach oben gezogen wird, ist uns zur Selbstverständlichkeit geworden.Vor uns auf der Wiese wirbelt ein buschiger, langer Pferdeschwanz durch die Luft: er gehört zu einem etwa 11-jährigen Mädchen, das seinen Papa durchkitzelt und dabei so fröhlich kichert und gackert, dass ich den Blick fast gar nicht von ihr wenden kann.Der Papa wird erst freigegeben, als er das erwachende Baby hochnimmt und mit ihm eine kleine Runde spazierengeht. Da die Mutter nicht aus ihrer Zeitschrift aufblickt, hält Pferdeschwänzchen Ausschau nach neuen Kontaktmöglichkeiten, und siehe da: Zwei etwa Gleichaltrige kommen vorbeispaziert, von denen eine einen kleinen Holzkäfig mit zwei lebendigen winzigen Küken drin schwenkt.Da ist natürlich sofort Gesprächsstoff gefunden. Mein Blick wandert zur gegenüberliegenden Bank. Dort sitzt ein sehr junges Pärchen Hand in Hand - gab es da nicht das Verbot: Mann und Frau dürfen einander in der Öffentlichkeit nicht berühren? Das Kopftuch rutscht, Menschen gehen Hand in Hand, kleine Anzeichen einer Veränderung, aber spürbar ist: diese große Anzahl junger Menschen wird sich nicht mehr unendlich lange den weltfremden und oft genug heuchlerischen Verdikten diktatorischer Sittenwächter unterwerfen.Bleibt nur zu hoffen, dass sie sich eine andere Freiheit als die grenzenlosen Konsums erstreiten werden!
Ein schöner Abschiedstag: noch nie habe ich so viele Menschen einen so relativ engen Raum so friedlich und ohne jeglichen Lärm miteinander teilen sehen.Zufrieden und ausgeruht genieße ich unseren letzten gemeinsamen Abend: Kebab essen in einem der beliebten Theraner Ausflugslokale im äußersten Norden der Stadt, wo die letzten Häuser in die steil aufstrebenden Felsen des Elburzgebirges hineingehauen sind und die Menschen zu Tausenden ihren Feiertag fröhlich beschließen in einem unbeschreiblichen Gewusel von Menschen jeden Alters, Autos und Straßenverkäufern. Stellenweise geht gar nichts mehr in diesem Verkehrschaos, und während wir 40 Minuten auf ein Taxi warten, habe ich doch noch Gelegenheit zwei "Sittenwächter" zu erblicken: sie versuchen, den Verkehr zu regeln bzw. zu blockieren und vermutlich auch den Leuten in Erinnerung zu rufen, dass man am hochheiligen Todestag Khomeinis schließlich nicht zu ausgelassen feiern dürfen.

4.6.2004
Abflug 9 Uhr mit Iran Air nach Frankfurt; kaum ist die Maschine in der Luft, streift die Passagierin vor uns ihr Kopftuch ab, wird aber von der Stewardess sofort ermahnt, es wieder aufzusetzen. Wie gut, dass ich jetzt weiß, dass die strengen Iran Air Damen nicht typisch sind für ihr Land! Im Luftraum zwischen Wien und Frankfurt fallen schließlich die allermeisten Kopftücher, die Reise in ein sehr gastfreundliches und wunderschönes Land ist unwiederbringlich zu Ende. Als im Frankfurter Flughafen eine Mutter ihre kleine Tochter laut anherrscht, zucke ich zusammen: so einen Ton hatte ich 10 Tage lang nicht gehört!


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