Bürgerreise Teheran-Isfahan vom 09. - 19. Oktober 2002
Reiseleitung Frau Tabrisi

Gott sei Dank habe ich mir bei meinem Doktor etwas gegen die Flugangst geholt und so sitze ich am Vormittag ziemlich ruhig im Bus, der uns nach Frankfurt bringt. Eine reizende Dame, Perserin, Deutsche, Künstlerin und ist hier für uns Reiseführerin. Das Reisebüro empfängt uns mit einer Tüte Pistazien, wir checken ein und pünktlich geht unser Airbus in die Luft. Und, oh welch ein Glück, ich kann sogar einen Bissen essen.

In Teheran ist es warm, angenehm. Der Verkehr ist atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Mit jedem Tag wird die Kehle und die Nase trockener, das Luftholen mühsamer. Es stinkt nach Abgasen und die Überquerung der Straße kommt fast einem Suizidversuch gleich. Die Autos sind zum Teil schrottreif, zum Glück sind die Straßen trocken, sonst könnte Böses geschehen mit den abgefahrenen Reifen.

Das Hotel ist einladend. Die Klimaanlage funktioniert und die Zimmer sind angenehm. Angenehm die Menschen, die viel lachen, die offen auf uns zugehen und sich freuen, uns als Gäste in ihrem Land begrüßen zu können. Das Kopftuch, das ich seit dem Aussteigen aus dem Flugzeug trage, ist noch gewöhnungsbedürftig. Beim Frühstück am Morgen erkenne ich die anderen Frauen aus der Reisegruppe kaum. Aber wir werden uns noch so daran gewöhnen, dass, als wir die Kopftücher abnehmen, wir wieder kleine Schwierigkeiten haben, von Ferne die Frauen zu erkennen. Es ist lustig dieses Kopftuch, denn es gibt auch warm, ist beim Essen manchmal im Weg und ständig bin ich am Fühlen, ob die Haare noch bedeckt sind. Aber selbst die Perserinnen sind ständig mit den Fingern am Kopftuch. Aber mit der Zeit wird dies zur Nebensache. Obwohl, als einmal die Herren bei einem Besuch eines Tempels eine Kopfbedeckung tragen mussten und sie froh waren, als sie diese wieder loswurden, lag es uns schon auf der Zunge zu sagen, was wir Frauen alles erdulden müssen.

Frau Tabrisi ist Künstlerin. Sie malt nach einer sehr alten persischen Technik, die im Iran fast verloren gegangen ist. Bei einem Besuch aus Teheran in Freiburg wird sie gefragt, ob sie dem dortigen Museum ein Bild schenken köِnnte. Uns gibt Frau Tabrisi damit die Chance, das Museum, das sonst für die Öffentlichkeit gesperrt ist, zu besuchen, um hier mit einer kleinen Zeremonie das Kunstwerk übergeben.
Danach werden wir in eine Bibliothek geführt und haben die seltene Gelegenheit, mit einem ergrauten Professor, einem Meister, der die alten Schriften entziffern und restaurieren kann, in Kontakt zu kommen. Er sitzt vor einem Schreibtisch, - in einem alten, zerknautschten Sessel, der so niedrig ist, dass der Meister gerade auf den Tisch schauen kann -, welcher von Spitzweg gemalt sein könnte. Eine Studierstube, einfach, erfüllt mit uralten, neuen und wertvollen Büchern, Hemden hängen an einem Garderobenständer, der Gebetsteppich mit den Gebetssteinen und der -Kette liegen auf dem Boden, Thermoskannen auf dem Schreibtisch, Essensbehälter, das Telefon dazwischen. Ein bedeutender Mann, der selbst von den Studenten nicht ohne weiteres zu sprechen ist. Aber wir haben die Gelegenheit! Er ist sehr freundlich zu uns aber es macht auf mich den Eindruck, dass er lieber arbeitet, als zu reden. Die Tafel zum anschließenden Mahl, zu dem wir eingeladen sind, ist in der Bibliothek gedeckt und leckere persische Spezialitäten werden serviert.

Die Stadt überfordert mich etwas mit den Autos, dem Lärm, dem Gestank und mit keiner Aussicht auf Natur. Ich bin noch nicht angekommen. Mit 4 ½ Stunden Flug überwindet man zu schnell all die Gegensätze in Kultur und Geschichte. In einem auf einen Berg führenden Park mit Teestuben und weitem Blick über die Stadt ein bisschen Aufatmen.
Im archelogischen Museum bestaunen wir Kunstwerke aus vergangen Epochen. Wieder wird mir klar, dass die schِönsten Formen schon in frühester Zeit der Menschengeschichte geboren wurden.
Wir besuchen ein Tanztheater, das eine Geschichte aus dem alten Persien erzählt. Es ist wunderbar getanzt und ich habe viel Freude, obwohl ich sehr müde bin. Beim Hineingehen in das Theater mussten wir Frauen einen eigenen Eingang nehmen, um dahinter wieder mit den Männern zusammen zu treffen. Das ist gewöhnِungsbedürftig. Beim Hinausgehen konnten alle denselben Ausgang nehmen. Wer hat das angeordnet?

Meine Freude nach Isfahan zu fliegen ist groß. Wir überqueren eine Wüste und landen in einer Oase. Bei der Fahrt zum Hotel fahren wir am Fluss entlang, und welche Freude, er hat Wasser, kommen an herrlichen Brücken vorbei, fahren durch breite Alleen. Der Verkehr ist auch hier sehr groß, nicht viel weniger als in Teheran aber die Luft ist gut. Wir sind ja fast 1600 m über Null. Ein leichter Wind macht die Hitze erträglich und nun kann ich sagen: ich bin im Iran, in Persien angekommen. Ich bin so neugierig auf all das was kommen mag.
Wir besichtigen Paläste und die wackelnden Minarette und beim großen Imam-Square fühle ich mich in tausend und eine Nacht versetzt. Die Kuppeln der beiden Moscheen mit ihren Minaretten, die Wasserbecken, die Rasenflächen und vor allem die Weite beeindrucken sehr. Es ist wunderbar durch die Moschee zu laufen, die Räume auszukosten, das Farbenspiel wirken zu lassen, die Höhe der Kuppeln zu ermessen und das Raumgefühl aufzunehmen. Unser Führer erzählt eine Geschichte, die besagt, dass die Erbauer der Moschee eine halbe Kugel, das Gegenstück der Kuppel, in die Erde gebaut haben, damit beim Erdbeben die Schalen die Erschütterungen ausgleichen kِönnen. Schِn, aber wie auch später ein Ingenieur, übrigens ein Onkel unseres persischen Führers bestätigt, leider nicht wahr. Wir staunen und sind müde. Es ist wunderbar aus dem Schatten heraus die Sonne zu genießen. Beim Mittagessen, mit persischem Essen, erholen wir uns.
Am Nachmittag mieten wir uns ein Taxi mit englisch sprechendem Fahrer und kommen nach einigen Missverständnissen im ältesten Teil von Isfahan an. Wir durchstreifen die schmalen, zum Teil gedeckten kleinen Gassen. Sehen die alten Eingangstüren aus Holz, die zwei Türklopfer haben: Einen für die Männer, einen für die Frauen. Klopft ein Mann, hört sich das drinnen anders an, als bei einer Frau und die Frauen verschleiern sich im Haus, bevor sie dem Gast öffnen.
Wir haben wohl laut gesprochen, denn plِötzlich stehen Frauen in der Tür und unser Taxifahrer unterhält sich mit ihnen. Er übersetzt uns, dass sie uns einladen Gast in ihrem Haus zu sein. Wir kommen in einen Innenhof, in welchem zwei Bäume stehen und Hühner umher laufen. Bevor wir das Haus betreten, ziehen wir die Schuhe aus.
Drinnen empfängt uns die Mutter des Hauses. Ein großer Raum, mit einem ausgemalten kleinen Gewöِlbe, ausgelegt mit Teppichen und einer schöِnen Gebetsnische. Wir lassen uns auf dem Boden nieder. Drei kleine Jungen, zwei davon mit kastanienfarbenen Haaren und grünen Augen, einer mit dunklen Haaren und dunklen Augen kommen auf uns zu. Sie lachen und springen um uns herum. Die Mutter der beiden Rothaarigen könnte auch eine Spanierin sein. Ihr Mann, der Sohn des Hauses ist dunkel und passt in unser Bild von einem Perser. Ein freundlicher junger Mann. Eine junge Frau, wir vermuten die Tochter, ist noch da. Sie servieren uns Tee und Melone.
Zum Glück habe ich Bilder von unserer Familie dabei. Der Bann ist nun ganz gebrochen. Die Jungen zieht es zu den Männern. Der Grِößere zeigt seine Schulhefte. Der kleinste Junge bietet uns eine grau-bräunliche Masse, die wie Knet aussieht aus einer Plastiktüte an. Er selbst stopft sich den Mund damit voll und zögernd greife ich zu. Ich erwarte etwas Süßes und fast spucke ich die Masse sowie sie im Mund ist wieder aus. Phuuu, das schmeckt wie Salz mit Essig und etwas Mehl vermischt.
Die Mutter erzählt, dass ihr Mann dieses Haus wieder bewohnbar gemacht hat. In insgesamt drei Räumen leben die Mutter und Tochter und zwei Söhne mit ihren Familien hier. Nun ist es wohl Zeit zum Gebet, denn der Taxifahrer breitet seinen Gebetsteppich aus und verrichtet seine Gebete. Wir verabschieden uns und ziehen weiter aber nicht bevor uns die Gastgeber versichern, dass ihr Haus auch unser Haus ist.

Es ist bereits dunkel. Die Moschee und die Minarette sind angestrahlt. Wir bummeln durch den Bazar und gehen auch in die Moschee. Wir sind überrascht, dass wir alle hineingehen können. Menschen verrichten ihre Gebete.
Was ist eine Kraftsporthalle? Wir machen dort einen Besuch. Auf der Fahrt dorthin erfahren wir, dass dies eine uralte überlieferte Form von Köِrperertüchtigung ist. Die persischen Soldaten wurden mit diesen Kraftsportübungen gestählt. Wir sind gespannt.
Wie in einer Arena sitzen wir erhöِht um einen runden Platz. Der Raum ist nicht sehr groß, an den Wänden hängen überall Fotos der Sportler. Die Tribüne ist steil. Uns gegenüber sitzt der "Tonangeber". Er bedient eine Trommel und zwei Glocken. Er gibt Befehle und macht wohl auch Späße. Die Sportler sind einheitlich gekleidet und betreten von oben kommend die Arena.
Zunächst werden mit Hilfe einer Armstütze wohl 15 Minuten lang mit gegrätschten Beinen im Takt Liegestützübungen ausgeführt, um die gesamte Rumpf-, Arm-, und Beinmuskulatur zu kräftigen. Daran schließt eine Übung mit zwei Keulen, die bis 35 kg schwer sind, an, die über den Kopf geschwungen werden. Dies diente zur Kräftigung der Oberarm- und Schulterpartie. Die nächste Übung diente früher bei den Soldaten dazu, die Angst vor vielen Gegnern, die rund um den Kämpfer standen zu verlieren. Die Kameraden stehen im Kreis. Einer betritt den Kreis und dreht im Trommelwirbel immer schneller werdend mit ausgestreckten Armen, im Krieg bewaffnet mit einem Schwert. Mir wird es nur vom Zusehen warm. Der Ventilator bringt wohl den Aktiven auch etwas Kühle. Zum Schluss formieren sich alle zu einem Gruppenfoto und wir bedanken uns mit einem kleinen Geldbetrag bei den Aktiven. Von der Stadt sind wir zu einem Empfang in das beste Hotel der Stadt eingeladen. Ein umgebauter Palast. Wir haben dort schon Tee getrunken und zu Abend gegessen. Eine Atmosphäre wie im Märchen. Der Mond steht bei der Moschee, die Springbrunnen spenden Kühle, das Essen ist gut. Auch so an diesem Abend. Wir sind in einem Saal der allein sehenswert ist. Die Wände sind bemalt, es gibt riesige Kronleuchter, eine geschwungene Treppe führt in die Galerie und ich kann mir leicht ausmalen, wie hier ein großes Fest gefeiert wurde und wird. Es gibt Reden, der stellvertretende Bürgermeister ist da und jeder von uns erhält ein Geschenk. Wir genießen es hier zu sein.
Wir bummeln über die Brücke, wir sitzen am Fluss unter der Brücke und trinken Tee, im Teehaus, bestaunen die Menschen und die bestaunen uns. An einem Abend hat sich ein Geschichtenerzähler unter der Brücke niedergelassen und singt und erzählt, begleitet von einer Flöte, die alten Geschichten. Es gibt noch viele die nicht lesen und schreiben können und die unter die Brücke kommen, um die alten Geschichten auswendig zu lernen. Und dann fangen sie an zu tanzen. Nur Männer. Auch aus unserer Gruppe werden die Männer eingeladen mitzutanzen. Ein Erlebnis voller Lebensfreude und Fröhlichkeit. Wir besuchen eine armenische, christliche Kirche, sitzen am Fluss und essen unser Obst.
Wir essen in traditionellen Teehäusern, Wasserpfeife wird geraucht, auch von Frauen. Ein größerer Raum ist den Männern vorbehalten, dort sind sie unter sich. Beate und ich geben unseren Männern einiges zu lachen, als wir das Teehaus auf dem Dach, am Eingang des Bazars verlassen wollen. Wir werden an der Türe von dem Besitzer festgehalten. Wir sollen bezahlen. Wir erklären, dass dies unsere Männer tun. Aber so einfach kِönnen wir ihn nicht überzeugen. Er nimmt uns in Schlepptau und unsere Männer müssen bestätigen, dass sie für uns bezahlen werden.
In dem Bergdorf empfängt uns Stille, Wind. Wir sind an einem kleinen Fluss talaufwärts gefahren. Dort wo es Wasser gibt stehen Bäume, wächst Frucht und Gras, sind Ziegen und Schafe. Es ist warm im Bus und ich bin froh, als wir aussteigen können. Ein liebenswertes Ehepaar empfängt uns im Motel. Eine Tafel ist gerichtet und wir genießen den Wind, die Speisen und das Wasser. Nach dem Essen laden uns die Ruhestätten zum Wasserpfeife rauchen und Teetrinken ein.

So gestärkt laufen wir durch das Dorf. Abgeschieden von der Welt ohne geteerte Straßen, steil und aus Lehm gebaut erheben sich die Häuser am Berg entlang. Esel ziehen durch die Gassen. Eine alte Frau winkt uns, näher zu kommen. Sie möchte, dass wir ihr Haus ansehen. Es ist einfach gebaut, sauber und im Winter bestimmt bitter kalt, denn viele Ritzen sind offen. Stolz wird uns erzählt, dass alle Kinder des Dorfes die Schule besuchen und stets einige die hier aufgewachsen sind, in Regierungsämtern arbeiten. Die Kinder spielen so, wie das früher bei uns auch war, mit allem was sie in der Natur finden. Die Sonne taucht alles in einen warmen Ton, denn es wird Abend. Wir fahren mit unserem Bus wieder zurück in die Ebene. Ein Picknick am Rande der Wüste wartet auf uns. Doch die Wolken machen einen Strich durch den Sonnenuntergang, den wir hier erleben wollten. Aber wir sind auch so zufrieden.
Tausende von Spritzen liegen hinter unserem Bus auf dem Parkplatz. Auch hier ist nicht alles heile Welt oder alles in Ordnung. Wie gerne würde ich mich täuschen lassen wollen von dem Märchen der tausend und eine Nacht. Auch hier gibt es Probleme. Die Arbeitslosigkeit, das Zuviel an Menschen, das Fehlen von Perspektiven. Könnten wir nicht alle in diesem Dorf dort oben wohnen, ohne Probleme, oder gibt es die dort auch? Wir fahren zurück nach Isfahan. Es ist Nacht und der Weg ist weit aber wir kommen gut an und mِöchten diesen Tag auf keinen Fall missen.
Die Flüge sind gut. Wir sind zurück in Frankfurt. In der Zeitung steht, dass in der Zeit als wir im Iran waren, zwei öffentliche Hinrichtungen stattgefunden haben, dass den Menschen je nach Verbrechen noch Gliedmaßen amputiert werden. Die Gegenwart ist wieder da. Ich bin am Auftauchen in die Realität. Aber eines ist sicher, immer wieder werde ich zurückkehren in meinen Gedanken in die Freitagsmoschee zu den alten Gewölben, zu den mächtigen Säulen, den betenden Menschen. Ich werde manchmal abtauchen in das Bergdorf, zu dieser Frau, die bestimmt nicht älter war als ich, die gegerbt war vom Wind und der Sonne und an den Augenblick denken, als ich sie in meine Arme nahm. Haben wir nicht alle dieselben Träume?

 

I.Stagneth