Dr. Wolfram Köhler
Rad - Abenteuer im Iran
Biken, Berge und Basare
Eine Zeitungsnotiz lässt uns aufhorchen: Der Freundeskreis Freiburg – Isfahan plant eine Fahrradtour im Iran um Isfahan und Yazd. Nicht lange überlegt, Flug Frankfurt - Teheran im April 2014. Sara und Masud empfangen uns am Flughafen der Hauptstadt mit einem prachtvollen Gerberastrauß, sie werden uns als Reiseleiter, Betreuer und Dolmetscher begleiten. Ein Bus mit der Aufschrift "Freundeskreis Freiburg - Isfahan" bringt uns in die Partnerstadt, im Rathaus empfängt uns sogar der Bürgermeister. Wir spazieren durch die quirlige Millionenstadt, erleben verlockende Eindrücke im Gold- und Silberbasar, bummeln auf der lebhaften Flaniermeile, durch Parkanlagen. Unsere anfängliche Skepsis verliert sich schnell, die Menschen hier sind freundlich und wenig distanziert, entsprechen nicht dem Bild, das wir aus den Medien mitbekommen haben. Das Abenteuer beginnt, mit dem Mountainbike in ein unbekanntes Land über 450 Kilometer auf der legendären Seidenstraße mit Steppe, Wüste und Oase, auf den Spuren von Karl May und Tausendundeiner Nacht.
Zum "Einradeln" treffen wir an die hundert begeisterte Isfahaner Radsportler, mit denen wir die Umgebung erkunden, das ausgetrocknete Flussbett des Zayanderud, Alleen, Grünanlagen. Am nächsten Tag endlich, 30 Kilometer vor der Stadt Nain, gibt Masud das Startsignal: „Berim, berim!“ – auf geht´s! Lastwagen mit gigantischen Marmorblöcken aus dem steinreichen Ostiran donnern vorbei, zur Begrüßung hupen und winken die Brummifahrer. Die Anstrengungen halten sich in Grenzen, erträglich sind die Temperaturen in trockener Höhenluft im iranischen „Wonnemonat“ April.
Sara begleitet uns mit ihrem Auto, meist im ersten Gang, beladen mit allem Gepäck, Wasservorräten, Kaffee, Tee, den vortrefflichen iranischen Datteln und Gebäck. Serviert werden die Zwischenmahlzeiten auf der Heckklappe oder einem schattigen Platz unter Bäumen. Wir passieren Siedlungen mit Pistazien- und blühenden Mandelbäumen, Palmen und fruchtbaren Gärten, die von Quellen gespeist werden, auch verlassene, zerfallende Gebäude, deren Brunnen versiegt sind. Erstes Etappenziel ist Nain, deren Altstadt mit orientalischem Flair ist ganz aus Lehm gebaut. Im verlassenen gedeckten Basar backt ein Bäcker Fladenbrot, an die heiße Lehmwand im Backofen hingeklatscht. Wir reißen uns fast um die ofenfrischen Fladen – sie schmecken einfach köstlich. Weiter geht’s ostwärts nach Anarak mit Übernachtung in einer Karawanserei, einstige Station von Handelskarawanen. Unterwegs reizen Motive immer wieder zum Fotostopp. Steppenblumen, farblich ungewöhnliche geologische Strukturen und Bergsilhouetten am Horizont verlocken immer wieder zum Druck auf den Auslöser der Kamera. Wie viele Bilder hat unsere Gruppe während des Aufenthaltes wohl gemacht? Durch das ständige Fotografieren reißt der Anschluss an die Radlergruppe ab, Masud versucht freundlich, ihn wiederherzustellen: „Kannst du bitte etwas schneller fahren?“ „Ja, kann ich!“
Gestalterische Gegensätze prägen Dörfer und Städte. Die uralte Lehmbauweise lebt von der Verfügbarkeit des Baumaterials und der Anpassung an das extreme Klima im iranischen Hochland, an Sommerhitze und Winterkälte. Höhepunkt der Architektur in Lehm für uns ist die Altstadt von Bayaziyeh, die wir am Ende unserer Radetappen besuchen. Das verlassene Bauensemble aus der sonnengetrockneten Erde erinnert an eine märchenhafte Filmkulisse. Für grüne Farbtupfer im Einheitsbraun sorgen Palmen und Pappeln. Ein 90jähriger Mullah erklärt uns lebhaft gestikulierend die archaische Anlage, dabei versucht er vergeblich, ein Handy in den Falten seines Gewandes zu verbergen. Farbliche Vielfalt dagegen vermitteln Sakralbauten mit Fassaden aus grünen und blauen Fliesen von bunter Blütenpracht, geometrischen Ornamenten und kalligraphischen Schriftbändern. Die Faszination steigert die untergehende Sonne, die den Farben einen goldgelben Glanz verleiht, um vom Ruf des Muezzin eindrucksvoll untermalt zu werden: „Allahu akbar“ – Gott ist groß.
Die dritte Tagesetappe endet nach 80 Kilometern in der Wüstenstadt Chupanan. Wir werden in einem gastfreundlichen Privathaus einquartiert und nach alter Sitte verköstigt, im Schneidersitz auf einem ausgebreiteten Bodentuch. Die für uns ungewohnte Sitzhaltung führt bei den Gastgebern zu heiterem Gelächter, deren Herzlichkeit die ganze Gruppe ansteckt. Die Speisen: Reis, Kräuter, Fleisch, Joghurt, Fladenbrot, Frischkäse. Höhepunkt ist ein Barfußgang durch die Wüste – bei untergehender Sonne und funkelnden Sternen am Abendhimmel. Die magische Stille unterbricht der Ruf des Muezzin. Masud zaubert durch Graben eines Sandloches an abschüssiger Stelle einer Düne bizarre Fließstrukturen in den Sand, die sich wie von Zauberhand geführt in immer andere Formen verwandeln - Geologie zum Anfassen.
Iraj ist nächstes Ziel, eine Oase mit Gärten und Palmenhainen, in denen Nachtigallen schlagen und das Wasser plätschert. Der Tag klingt am Lagerfeuer, Musik mit Zither und Trommel, Bier 0,0 % mit Pfirsichgeschmack. Stimmung kommt trotzdem auf.
„Berim, berim, hipp, hipp, hurra!“ Heute ist gut frohlocken, nur 45 Kilometer bis Khor. Unterwegs ermöglicht Masud die Besichtigung eines Steinbruches, in dem gewaltige Marmorblöcke durch Bohren und Sägen mit Diamantseilen gewonnen werden. Wozu werden die Blöcke wohl verarbeitet? Vom Wüstenhotel Bali in Khor starten wir zu einer abendlichen Busfahrt in die Salzwüste, vorbei an einer Kamelherde, die von der dürftigen Salzvegetation lebt. Die Strahlen der untergehenden Sonne verwandeln die Salzschicht mit ihren sechseckigen Strukturen in eine unwirkliche Szene wie auf einem anderen Planeten.
Unsere Radtour endet nach weiteren 55 Kilometern in dem erwähnten Bayazieh mit seiner märchenhaften Lehmarchitektur. Von dort bringt uns der Bus nach Yazd, die Stadt der uralten Religion der Zarathustrier mit Feuertempel und den Türmen des Schweigens, auf denen sich keine menschlichen Knochen mehr befinden – anders als noch vor 40 Jahren . Weiter geht´s nach Persepolis und Shiraz, die Stadt der von Goethe verehrten Dichter Hafez und Saadi. Der märchenhafte Prunk des schiitischen Heiligtums Shah Charagh vermittelt himmlische Illusion, die Decken der Räume sind mit unzähligen Spiegelmosaiken in Gold und Silber ausgestattet. Wir wandeln über Böden aus grünlichem Marmor. Die Frauen verhüllen sich in einem Gewand, dessen weißes Outfit sie wie eine Engelschar erscheinen lässt. Zum Glück erlaubt uns ein freundlicher Aufseher, diesen hinreißenden Auftritt mit der Kamera festzuhalten.
Die Reise in dem touristisch wenig erschlossenen Iran ermöglicht Begegnungen, die auf den ausgetretenen Pfaden des Massentourismus unwahrscheinlich sind. Ein Lastwagenfahrer lädt die Gäste aus Alemannia zum Tee ein, ein Muezzin führt durch eine Moschee in Isfahan und legt eine lautstarke Probe des Muezzinrufes auf dem Minarett ab. Eine fotogene Szene mit der Kamera festzuhalten, wird gern stattgegeben: „Aks, aks?“ - Bild, Bild. Das Fotoshooting mit einer Schulklasse in Einheitskleidung wird mit freudig lärmender Zustimmung arrangiert.
Der Einkaufsrausch kann auf Märkten und Basaren wie aus „1001 Nacht“ ausgelebt werden, gleicht nicht dem Spießrutenlaufen wie in anderen Ländern des Orients mit aufdringlichen Händlern und Schleppern. Kein Shoppingstress trotz quirliger Geschäftigkeit. Teppichhändler reihen sich ebenso wie die Textilbranche in Geschäften nebeneinander, die Gold- und Silberhändler sind unter sich, ebenso die Spengler und Kupferschmiede. Den auf Preis- und Qualitätsvergleich bedachten Kunden kommt diese Verkaufsstruktur der traditionellen Branchensortierung entgegen. Jeder Berufszweig hat eigene Gerüche, Geräusche und Farben. Der Gewürzbasar verströmt exotische Düfte, das Metallgewerbe ist am Hämmern weithin vernehmbar, die Textilbranche schwelgt in Farben. Handeln und Feilschen gehören zum Basaralltag dazu, für die Orientalen ist es wie ein sportlicher Wettkampf zur Gewinnmaximierung, auch Ausdruck der Wertschätzung für eine aufwändig gefertigte Ware, welche kein Massenprodukt oder Billigimport erfährt. Wem solche Gepflogenheiten fremd oder unangenehm sind, läuft Gefahr, über den Tisch gezogen zu werden, auch wenn der Teppichhändler dem Kunden glaubhaft vermittelt, er habe beim Preis von 220 € statt der ursprünglichen weit überhöhten Forderung von 280 € für einen Seidenteppich im Miniformat ein Schnäppchen gemacht.
Zur Kultur eines Landes gehören Speis‘ und Trank dazu. Auffallend ist das strikte Verbot alkoholischer Getränke: „Da wird nicht mehr nachgefragt! Wein ist ernstlich untersagt“ räsoniert schon Goethe im „Westöstlichen Divan“. Da weicht man halt auf alkoholfreies Bier aus. Das erfrischende Sauermilchgetränk Dough mit Minzearoma passt zu den Gerichten mit Gemüse, Auflauf, Suppen und Eintöpfen. Es gibt Reis und immer wieder Reis, eher trocken, mit Safran und roter Berberitze gewürzt, Fladenbrot wird stapelweise aufgetragen, Zwiebeln, Grünzeug, Joghurt, Frischkäse. Das Fleisch von Rind, Schaf, Kamel, Huhn oder Fisch wird gebraten oder am Spieß gegrillt. Immer wieder gibt esTee mit viel Zucker und erst die Süßspeisen…. mmmh!
Die Stellung von Mann und Frau entzieht sich der vorschnellen Beurteilung, nach der die Tradition von Kopftuchzwang in der Öffentlichkeit auch für europäische Gäste mit einer Benachteiligung der Frau gleichgesetzt wird. Mit einigem Gespür entdeckt man Verhaltensweisen, welche die dominierende Rolle des Mannes in Frage stellen.
Unser Aufenthalt endet dort, wo er begonnen hat, in Freiburgs Partnerstadt Isfahan, der schönsten Stadt des Iran. Nach so viel erlebter Gastlichkeit, landschaftlichen und kulturellen Eindrücken kann man Goethe nur zustimmen: „Wer sich selbst und andre kennt, wird auch hier erkennen, Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“